Der Autoerotiker

von Carl Danowsky

Es ist wieder einer dieser magischen Samstage. Zärtlich liebkost Christian L. seinen schwarzen Porsche 911 SC, Baujahr 1982, mit einem leicht alkalischen Reinigungsöl, das er selbst jeden Morgen auflegt, um seiner vulnerablen Macherhaut Feuchtigkeit zu spenden und sie von überschüssigem Talg zu befreien. Für die Feinwäsche von kernigen Mannsbildern und exquisiten Oldtimern bedarf es filigraner Handarbeit und maximaler Sorgfalt in den sensitiven Fingerspitzen. 

 

Der smarte Selfmademan kann die Zartheit des Lacks fühlen. Nur Banausen würden einen Oldtimer konventionell polieren und dabei winzige Schichten abtragen, was den Lack dünner werden ließe. Eine unsachgemäße Bewegung und die Erzählungen der Patina würden für immer verstummen. All die einzigartigen Spuren der Geschichte unwiderruflich verloren! 

 

Christian L. weiß, wie man einem verletzlichen Lack ohne Materialabtrag Glanz verleiht. Nur allzu gern legt er selbst Hand an, obwohl er es wahrlich nicht nötig hätte. Einer seiner nichtsnutzigen Adlaten könnte das für ihn erledigen. Oder die Gespielin seiner letzten Nacht. Wie hieß sie noch gleich? Annabelle? Mathilda? Desdemona? Hatte er nicht neulich erst eine von ihnen in den heiligen Stand der Ehe geführt und ihr eine rauschende, sündhaft teure Luxussause spendiert? Er kann sich nicht mehr erinnern. Ein Leiden, das er mit vielen seiner Berufsgenossen teilt. Bestimmte Erinnerungen lösen sich wie von Geisterhand in ein stumpfes Nichts auf. Andere wiederum bleiben wie in Stein gemeißelt. So fällt es ihm leicht, seine ersten fahrbaren Glücksspender zu memorieren: den sportiven BMW 318is mit seiner revolutionären Vierventiltechnik und den Porsche Boxster 2,5, natürlich ganz in edlem Schwarz gehalten.

 

Es erscheint ihm utopisch, dass jemand dieselbe Akkuratesse, denselben Pli für diesen Klassiker des Automobilbaus an den Tag legen könnte. Das vollbringt nur jemand, dessen Mund postnatal zuerst das Wort Auto formte. Ein Geistesblitz durchfährt ihn. Auto – drei Vokale, einer mehr als im Wort Mama. Ein Hinweis auf eine Hochbegabung? Versonnen betrachtet Christian L. sein Spiegelbild im Widerglanz seines makellos gewienerten Prachtstücks. Wie gerne würde er sich jetzt seines körperbetonten, gelb-blauen T-Shirts entledigen, um andächtig über seinen in unzähligen Stunden am Rudergerät gestählten Astralkörper kontemplieren zu können. Ihm fällt kein anderer 44-Jähriger ein, der das Ideal der Alterslosigkeit so verkörpert wie er. Hierin gleicht er seinem 911er. Und falls nötig färbt er die verblichenen Stellen mit einer Tiefenpflege einfach wieder nach. 

 

Vor Christian L. steht der Inbegriff von Vollkommenheit. Ein Artefakt aus einer längst vergangenen Zeit. Schwarze Karosserie, schwarze Felgen, schwarze Innenausstattung, sechs Zylinder, drei Liter Hubraum, in sieben Sekunden von null auf hundert, Höchstgeschwindigkeit 225 Stundenkilometer, 180 Pferdestärken. Ein warm wohliges Gefühl durchströmt ihn. Seine rechte Hand fährt zitternd über den Türgriff, wobei ein sanftes Säuseln von seinen Lippen entweicht: »Ich denke so gerne daran, Kleines, dass wir in den vergangenen Jahren ungefähr 300 Mal den Samstag zusammen begonnen haben.«

 

Doch mit einem Mal bäumt sich sein Körper ruckartig auf. Ein nicht zu bändigender Drang scheint ihn zu übermannen. Christian L. reißt die Fahrertür auf. Sichtlich erregt fixiert er den Kilometertacho, den er einst für den amerikanischen Meilentacho einsetzen ließ. 5.467 Kilometer. Sein Atem beruhigt sich wieder. Wie konnte er an der Treue seiner Sahneschnitte zweifeln? Ausgerechnet er, den immer wieder Träume heimsuchen, in denen er einen Ferrari 360 Spider lenkt. 

 

Nachdenklich betrachtet Christian L. die mit Spezialentferner und Silikonreiniger streifenfrei gesäuberten Scheiben. Um auch an die Bereiche ganz oben heranzukommen, die sonst unter den Dichtungen verborgen liegen, hatte er die Seitenscheiben vor der Innenreinigung ein Stück nach unten gekurbelt. Bewies diese Perfektion nicht seine unerschütterliche Treue, seine Standhaftigkeit? 

Er kommt nicht umhin, einen Blick in den Innenspiegel zu werfen und sich mit einem koketten Schulterblick zu beaugapfeln. Verführerisch senkt er seine Augenlider und formt mit seinen Lippen einen Schmollmund, aus dem ein langgezogenes »Du-uuuu!« entweicht. Etwas stört die Harmonie. Er bespeichelt seinen rechten Zeigefinger, um eine Stelle am Spiegel abzurubbeln, die ihm unzureichend gereinigt erscheint. Picobello, mio bello!

 

Beschwingt steigt Christian L. aus. Ein letztes Mal streicht sein Schwamm achtsam über den Lack, streichelt ihn wie das Dekolleté und die Hüften von … Ach, was soll’s, ihr Name würde ihm schon wieder einfallen. Und selbst wenn nicht – einem wie ihm verzeiht man derlei Lausbübereien. Frauen gibt es wie Sand am Meer. 

 

Im Gegensatz zu einem Porsche 911 SC. Seine Reinigung gleicht einer heiligen Zeremonie. Es käme für Christian L. niemals in Betracht, den verwundbaren Lack mit einem Microfasertuch zu frottieren. Er bevorzugt die Sinnlichkeit von 100 Prozent natürlichem Schafsleder in absoluter Premium-Qualität. Und selbstverständlich verwendet er für die hochempfindlichen Kunststoffflächen im Innenraum ausschließlich ein spezielles Cockpitspray, das er auf einen Schwamm spritzt, um es dann in kreisenden Bewegungen satt auf die Oberfläche aufzutragen. Und ganz der Profi versiegelt er den Lack ausschließlich mit Carnauba-Wachs, das er rhythmisch von Hand aufpoliert. Der Höhepunkt seines samstäglichen Reinigungsrituals!

 

Doch eine perfekte Optik allein fruchtet nicht, wenn die Maschine nicht rundläuft. Aber auch hier kann er stolz von sich behaupten, dass immer noch alles tadellos funktioniert. Keine Fehlzündungen, keine Aussetzer. Noch bevor er den Motor vibrieren lässt, kann er es hören, riechen, sollte etwas nicht in Ordnung sein. Alles immer noch schön geschmeidig. Es zahlt sich aus, dass er auch auf Kleinigkeiten wie perfekt abgedichtete Gummis Acht gibt. 

 

Ja, wenn nur diese eine verdammte Ampel nicht wäre! Jedes Mal, wenn er sich dem Ziele nahe wähnt, springt dieses vertrackte Ding auf Rot. Selbst beim »Wetten, dass..?«-Comeback von Thomas Gottschalk gelang es ihm nicht, sie zu überlisten, auch nicht beim WM-Finale 2022 oder als er sich einmal morgens um Fünf bei seinem Lieblingsbäcker mit frischen Marmor-Dinkel-Knusperchen eindeckte. Immer mit durchgedrücktem Gaspedal. Schließlich besitzt er eine Rennlizenz. Streng genommen sogar den Sportbootführerschein, den Fischereischein und sogar den Jagdschein. Ja, für den Tag X weiß er sich bestens präpariert. Sofern ihm nicht diese vermaledeite Ampel noch einen Strich durch die Rechnung macht!

 

Zum Glück wurmt einen wie ihn so etwas nur einen Libellenflügelschlag lang. Probleme sind dornige Chancen. Mit seismographischer Genauigkeit entdeckt er auf einer Felge noch etwas Flugrost. Schon zückt er die Reinigungsknete und beginnt, sinnlich vor sich hin zu kneten. Er wirft einen letzten prüfenden Blick auf das Glanzmessgerät. Jeder Wert unter 70 auf der Skala der Deutschen Glanzeinheiten ist für ihn inakzeptabel. 92. Hochglänzend. Christian L. wischt sich zufrieden seine Hände ab. Er weiß, was er tut und weicht dabei keinen Millimeter von seinem Leitspruch ab: Es ist besser, nicht zu reinigen, als falsch zu reinigen! 

 

 

 

Carl Danowsky. Plakatgrinsender Verbaldiarrhödesperado. Alter: check. Wohnort: check. Geschlecht: mutmaßlich männlich. Besondere Kennzeichen: keine.

© Der Schuhschnabel. ISSN 2942-1756. Alle Rechte bei den Autor:innen. 

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte prüfen Sie die Details und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.